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Wir müssen zur Selbstverteidigung übergehen - Gastkommentar von Gerhart Baum

Die Datenschutzdiskussion ist nach langen Jahren der Gleichgültigkeit wieder in Gang gekommen. Auslöser war ein jeden Rahmen sprengender Datenhandel, der im letzten Jahr bekannt und zum Skandalthema wurde und sogar einen sogenannten Datenschutzgipfel – einberufen durch die Regierung - auslöste. Der Datenschutz stand nicht auf der tatpolitischen Tagesordnung der letzten Jahre. Ein umfassendes politisches Reformkonzept zu diesem Freiheitsthema ist jetzt von der neuen Regierung angekündigt worden – auch zum Arbeitnehmerdatenschutz, der nach den Spitzelaffären bei Bahn und Telekom die Öffentlichkeit beschäftigt hat.

Wir müssen zur Selbstverteidigung übergehen - Gastkommentar von Gerhart Baum

Gerhart Baum anläßlich der Verleihung des Theodor-Heuss-Preises an ihn im Jahr 2008

Gastkommentar von Gerhart R. Baum

Nach dem legendären Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts, das ein Grundrecht auf Datenschutz, die sogenannte informationelle Selbstbestimmung im Jahre 1983 festgelegt hatte, wurde Datenschutz in den letzten Jahrzehnten eher abgebaut nicht aufgebaut. Schon das Nichtstun führte angesichts der explosionsartigen Entwicklung der Kommunikationstechnologie zu einem Abbau. Auch ist der Staat mit schlechtem Beispiel vorangegangen durch zahlreiche Sicherheitsgesetze und Sicherheitsmaßnahmen, die in 14 Fällen vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben oder eingeschränkt wurden. Fakt ist: Die Sicherheitsbehörden sammeln immer mehr Daten, Daten unverdächtiger Bürger. Sie beschränken sich nicht auf eigene Datensammlungen, sondern greifen auf die großen Datendepots der Privaten zu. Jede neue große Datenbank, wie z. B. die im letzten Jahr eingeführte Arbeitnehmerdatenbank ELENA, trägt die Dynamik eines Abbaus des Datenschutzes in sich, weil sie Zugriffsbegehrlichkeiten weckt. Jede neue technische Maßnahme, wie z. B. der Körperscanner, wird ohne große Überlegung als Sicherheitsgewinn in Betracht gezogen, obwohl gar nicht abzusehen ist, wie die offenen Fragen beantwortet werden können. Aber es ist vorauszusehen: Wir werden hier erneut über den Tisch gezogen.

"Nahezu jede personenbezogene Angabe wird heute gesammelt und gespeichert"

Blickt man auf das gesamte Problemfeld, also das der staatlichen wie der privaten Datenverarbeitung, ist die Lage so brisant wie nie zuvor. In seiner Rede zur Theodor-Heuss-Preisverleihung im April 2008 fasste Spiros Simitis, einer der Datenschutzpioniere in unserem Land, die Situation wie folgt zusammen:

"Nahezu jede personenbezogene Angabe wird heute gesammelt und gespeichert. Früher für selbstverständlich gehaltene Speicherungsgrenzen sind endgültig entfallen. Die Verarbeitungstechnologie schafft alle Voraussetzungen für multifunktionale Verwendung und systematische Vernetzung der Datenbestände. Auch die Trennung öffentlicher und privater Datenbanken schwindet dahin."

Frank Rieger, Sprecher des Chaos Computer Clubs, spricht in seinem Gutachten zur Vorratsdatenspeicherung von der Gefahr, dass wir zu "digitalen Schattenrissen" werden, also umfassende "digitale Menschenprofile" die Zukunft sein werden - der Mensch wäre also nur noch "ein Bündel von Merkmalen und Kategorien". Er ist aber mehr als die Summe seiner Daten. Dass man dies betonen muss, zeigt wohin wir bereits geraten sind.

Es reicht eben nicht mehr, den einzelnen auf seine Datenherrschaft zu verweisen also, auf sein Selbstbestimmungsrecht. Er hat es in vielen Fällen überhaupt nicht, denn er weiß nicht, welche Spuren er hinterlässt und was mit diesen geschieht.

Neues Grundrecht

Hüter der Verfassung waren in den letzten Jahren in vielen Fällen die Datenschutzbeauftragten, deren Ansehen und Bedeutung immer weiter gewachsen ist. Vor allem aber hat das Bundesverfassungsgericht, auch und vor allem mit dem wegweisenden Urteil zur Computerdurchsuchung und Computerüberwachung im Jahr 2008, Maßstäbe gesetzt. Ein neues Grundrecht wurde formuliert. Das Gericht ist sozusagen im Computerzeitalter angekommen.

Alles in Allem ist es ein Armutszeugnis für die Politik, dass neue Schutzstrategien, wie sie seit Jahren in zahlreichen Expertisen und in den Berichten der Datenschutzbeauftragten vorliegen, nicht zu gesetzlichen Rahmenbedingungen geführt haben. Inzwischen gibt es nicht nur im staatlichen, sondern auch im privaten Bereich perfekte Überwachungsinfrastrukturen, die ineinander greifen. Die Reformvorschläge liegen also auf dem Tisch. Es geht um die Gewährleistung des Datenschutzes durch technische Gestaltungs- und Verarbeitungsregeln, durch neue Kontrollverfahren, durch die Stärkung der Datenschutzbeauftragten, um nur einiges zu nennen. Hoffentlich gelingt es, kurzsichtigen Interessen von Wirtschaftsgruppen zu widerstehen, die an Datenverarbeitung interessiert sind. Die Gesetzesnovellen von 2009 sind durch letztere leider entschärft worden.

Politik muß in der täglichen Arbeit verantwortlich handeln

Datenschutz, so haben wir es schon in den 70er Jahren gesehen, als ich im Bundesinnenministerium für das erste Bundesdatenschutzgesetz verantwortlich war, ist ein Freiheitsthema. Es bleibt dahingestellt, ob dieses durch die Aufnahme des Datenschutzes in das Grundgesetz gestärkt werden könnte. Besser als in den Urteilen von Karlsruhe zum Datenschutz, meine ich, kann Datenschutz nicht definiert werden. Gefragt ist vor allem verantwortliches Handeln der Politiker in der täglichen politischen Arbeit.

Die unkontrollierte Verwendung personenbezogener Daten tangiert und gefährdet letztendlich den demokratischen Charakter unserer Gesellschaft. Aus diesem Grunde darf nicht länger gezögert werden, eine umfassende Reform des Datenschutzrechts in die Wege zu leiten. Sehr schwierig wird es sein, Datenschutz international zu koordinieren. Wir leben in den Zeiten der Globalisierung nicht auf einer Insel. Der Ausverkauf von europäischen Finanzdaten an die USA (Swift), zeigt, welchem Druck wir ausgesetzt sind - aber auch, dass wir ihm nicht widerstehen, obwohl eigene Sicherheitsbehörden diese Daten als irrelevant bezeichnet haben. In der Europäischen Gemeinschaft gibt es erhebliche Datenschutzdefizite und gefährliche Pläne, den Datenschutz aufzuweichen. Aus allem gibt es für uns nur eine Schlussfolgerung: Wir sollten für unsere Grundrechte, die einen strikten Bezug zum Prinzip der Menschenwürde haben, international kämpfen.

Grundrechte verteidigen

Ein weiteres wichtiges Feld ist die Bewahrung der Grundrechte im Internet. Der Rechtsstaat muss sich auch im Netz behaupten. Ein Spannungsverhältnis besteht durch die Gefahr der faktischen Enteignung von Kreativen im Internet. Dem kann nur mit einem modernen Urheberrecht begegnet werden. Auf der anderen Seite darf das Netz nicht zur Zensur durch staatliche Behörden missbraucht werden, wie das mit dem Gesetz gegen Kinderpornografie begonnen wurde, das der Bundespräsident zu Recht im Moment nicht unterzeichnet. Bemerkenswert ist immerhin, dass der Bundestag eine Enquete-Kommission zur Internetproblematik einzusetzen beabsichtigt. Auch die Bundesregierung hat ein laufendes Programm zur Untersuchung offener Fragen begonnen.

Wir müssen zur Selbstverteidigung übergehen - auch durch Datensparsamkeit und Datenaskese.

Alles in Allem: Ich plädiere seit langem für eine Bürgerbewegung zum Schutze der durch Art. 1 des Grundgesetzes geschützten Privatheit. Ich plädiere für eine Datenschutzbewegung nach dem Vorbild der erfolgreichen Umweltbewegung. In der letzten Zeit hat sich gezeigt, dass doch zahlreiche vor allem auch jüngere Menschen sich gegen Elemente des Überwachungsstaates und der Überwachungsgesellschaft wenden. Diese Chance sollte jetzt genutzt werden.


Ãœber den Autor

Gerhart Baum ist Politiker und Rechtsanwalt. Er war von 1978 bis 1982 Bundesminister des Innern. Er hat mehrere Verfassungsbeschwerden erfolgreich auf den Weg gebracht. Unter anderem gegen den Großen Lauschangriff, gegen das Luftsicherheitsgesetz, gegen die Online-Durchsuchung und gegen die Vorratstdatenspeicherung. In seinem hier vorliegenden Gastkommentar beim FoeBuD äußert er sich zum Stand der Datenschutzdiskussion im Januar 2010.

Sein Buch Rettet die Grundrechte gibt es in jeder Buchhandlung und im FoeBuD-Shop.


Gerhart R. Baum, 2010
Bild: Peter Ehrentraut, FoeBuD e.V. (zum Abdruck freigegeben; Beleg bitte an: mail@foebud.org)
21.01.2010 16:41
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